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Berlin, 25. April 2010
Liebste Daphne,
jetzt ist es raus: ich verstehe Dich nicht. Die dem Wirklichen verhaftete und an ihm zu messende Möglichkeit das ist für mich bloß: die Alternative. Etwa Müntefering, der den gegen Hartz4-Protestierenden zuruft „ja schlagen Sie doch was Besseres vor.“ Im Rahmen der Finanzierbarkeit. Und wenn der Rahmen faul ist. Falsch, foul. – Ich komme Dir entgegen, indem ich einsehe, dass das Mögliche dem Denkbaren, Vorstellbaren verhaftet ist. Und das kommt ja irgendwo her, aus Vergangenheit, Reklame oder Rausch. Alles irgendwie irdisch. Wir müssen unbedingt das Thema wechseln!, ich verliere alle Illusionen. Die ich den Hoffnungen vorziehe, weil sie weniger pragmatisch sind.
„N.M, 44, ist die Tochter eines ehemaligen Chanel-Models, ihr Vater arbeitete als Journalist in Hollywood. Sie wuchs in Paris, Madrid und Los Angeles auf. Nach ihrem Studium arbeitete sie als Moderedakteurin für die Zeitschriften Women’s Wear Daily und Tatler.“ Das lese ich in meinem Holzmedium. Großes Interview. Was die Dame studiert hat, erfahre ich nicht. Ist offenbar egal, die Rahmenbedingungen stimmen.
Gestern einen Vortrag gehört über Abramovic’ Performance Thomas Lips – kennste? Sie isst ein Kilo Honig, trinkt einen Liter Wein, steht auf, ritzt sich einen Stern in den Bauch, peitscht sich aus. Legt sich auf ein Kreuz aus Eis, lässt den zerschnittenen Bauch von einem Wärmestrahler aufheizen, damit das Blut üppiger fließt. Die Empathie der Zuschauer zwingt sie zum Handeln, sie greifen ein und retten sie aus ihrem Szenario. Jahre später wiederholt Abramavoic die Performance. Ich lerne: sie stellt einen Wachmann ein, der verhindern soll, dass die Zuschauer sich ihrer erbarmen. Observation is action. Auch eine Möglichkeit.
Ich glaube, ich glaube nicht an so etwas wie Nicht-Handlung.
Die Liebe ist keine Himmelsmacht.
Wenn ich unglücklich verliebt bin, würde ich (manchmal) gern dreimal in der Woche in den Supermarkt gehen müssen. Aber das behältst Du für Dich. Ich bin auf eine Party eingeladen und gehe nur hin, weil ich Schnaps trinken will. Ein Hoch auf den Pilotenchef der Lufthansa, W.K.: "Egal, was eine Modellrechnung ergibt, eine Wolke, die wir nicht sehen, kann so bedrohlich nicht sein." Darüber kann ich jahrelang lachen. Dem sein Realitätssinn hätte ich gern. Ich fühle mich bedroht durch die Präsenz einer männlichen Gestalt, die gerade irgendwo in Berlin ist und meide bestimmte Bezirke. Dann geh ich extra in diese Bezirke, weil ich die Fremdbestimmung hasse, rein ins Krisengebiet, wie eine Milizionärin. Dort dann bewaffnet, ohne Auftrag. Daphne, es ist absurd. Ich möchte eine Checkliste, bitte, sonst heb ich nie ab,
deine irdische e.
Checkliste für Piloten: Er hat für sich selbst ein höheres System entdeckt und realisiert, mit dessen Hilfe er nahezu die allerletzte unterbewusste Zufälligkeit in den Beobachtungskanal bewusster Wahrnehmung zwingt: Eine Checkliste, die ihm ein ausgefuchstes und durchdachtes Denk- und Ablaufschema vorgibt, sowie seinen Denkapparat ganz wesentlich entlastet.
Liebste Daphne,
jetzt ist es raus: ich verstehe Dich nicht. Die dem Wirklichen verhaftete und an ihm zu messende Möglichkeit das ist für mich bloß: die Alternative. Etwa Müntefering, der den gegen Hartz4-Protestierenden zuruft „ja schlagen Sie doch was Besseres vor.“ Im Rahmen der Finanzierbarkeit. Und wenn der Rahmen faul ist. Falsch, foul. – Ich komme Dir entgegen, indem ich einsehe, dass das Mögliche dem Denkbaren, Vorstellbaren verhaftet ist. Und das kommt ja irgendwo her, aus Vergangenheit, Reklame oder Rausch. Alles irgendwie irdisch. Wir müssen unbedingt das Thema wechseln!, ich verliere alle Illusionen. Die ich den Hoffnungen vorziehe, weil sie weniger pragmatisch sind.
„N.M, 44, ist die Tochter eines ehemaligen Chanel-Models, ihr Vater arbeitete als Journalist in Hollywood. Sie wuchs in Paris, Madrid und Los Angeles auf. Nach ihrem Studium arbeitete sie als Moderedakteurin für die Zeitschriften Women’s Wear Daily und Tatler.“ Das lese ich in meinem Holzmedium. Großes Interview. Was die Dame studiert hat, erfahre ich nicht. Ist offenbar egal, die Rahmenbedingungen stimmen.
Gestern einen Vortrag gehört über Abramovic’ Performance Thomas Lips – kennste? Sie isst ein Kilo Honig, trinkt einen Liter Wein, steht auf, ritzt sich einen Stern in den Bauch, peitscht sich aus. Legt sich auf ein Kreuz aus Eis, lässt den zerschnittenen Bauch von einem Wärmestrahler aufheizen, damit das Blut üppiger fließt. Die Empathie der Zuschauer zwingt sie zum Handeln, sie greifen ein und retten sie aus ihrem Szenario. Jahre später wiederholt Abramavoic die Performance. Ich lerne: sie stellt einen Wachmann ein, der verhindern soll, dass die Zuschauer sich ihrer erbarmen. Observation is action. Auch eine Möglichkeit.
Ich glaube, ich glaube nicht an so etwas wie Nicht-Handlung.
Die Liebe ist keine Himmelsmacht.
Wenn ich unglücklich verliebt bin, würde ich (manchmal) gern dreimal in der Woche in den Supermarkt gehen müssen. Aber das behältst Du für Dich. Ich bin auf eine Party eingeladen und gehe nur hin, weil ich Schnaps trinken will. Ein Hoch auf den Pilotenchef der Lufthansa, W.K.: "Egal, was eine Modellrechnung ergibt, eine Wolke, die wir nicht sehen, kann so bedrohlich nicht sein." Darüber kann ich jahrelang lachen. Dem sein Realitätssinn hätte ich gern. Ich fühle mich bedroht durch die Präsenz einer männlichen Gestalt, die gerade irgendwo in Berlin ist und meide bestimmte Bezirke. Dann geh ich extra in diese Bezirke, weil ich die Fremdbestimmung hasse, rein ins Krisengebiet, wie eine Milizionärin. Dort dann bewaffnet, ohne Auftrag. Daphne, es ist absurd. Ich möchte eine Checkliste, bitte, sonst heb ich nie ab,
deine irdische e.
Checkliste für Piloten: Er hat für sich selbst ein höheres System entdeckt und realisiert, mit dessen Hilfe er nahezu die allerletzte unterbewusste Zufälligkeit in den Beobachtungskanal bewusster Wahrnehmung zwingt: Eine Checkliste, die ihm ein ausgefuchstes und durchdachtes Denk- und Ablaufschema vorgibt, sowie seinen Denkapparat ganz wesentlich entlastet.
edda b. - 25. Apr, 18:06