im galopp

Berlin, 15. April 2010
liebe D.,

Deine Vorwürfe zielen ganz weit an mir vorbei. „Wo ist mehr drin?“ – das ist Deine Frage, Dein Aschenputtel-Bild, Dein Bilanz-Verdacht. Teil ich alles nicht.
1. Ich erzähl Dir von einer Installation über den Konjunktiv und beklage, dass die Ausstellung des nicht-Realisierten wie bebilderte Reue erscheint. Tütü – ich hätte Tänzerin werden können und wurde es nicht, es ist zum Seufzen. Das ist erstmal blöd.
2. Ist es nicht nur blöd. Autonomie ist nicht immer und überall. In der Frau mit dem Tütü-Traum steckt das Kriegskind, das nach der Volksschule die erstbeste Lehrstelle antreten muss. Zack Zack. Optativ trifft auf Gesellschaft. Wer will den Kummer zensieren?
3. Hatte ich nicht Recht. Im Nachhinein finde ich es nicht blöd, die ungelebten Sehnsüchte in Bilder und Geschichten zu verwandeln. Anders als Du rechne ich nicht gegen. (Das wäre ihr Preis gewesen.) Ich seh’s als Wundertüte, von mir aus als Addition. Das Ungelebte, ob aus Feigheit, Notwendigkeit, Dummheit, Entschiedenheit, das gehört dazu. Zu einer Person, dem ollen Puzzle.
4. „Männer kannst Du an ihren Handlungen erkennen“, welche unserer Omas oder Tanten hat das gesagt. Jaja, das Sichtbare. Nur was – zack, Pflöcke in den Boden rammen! – sichtbar ist, zählt und gilt? Ich glaube das nicht. Und lehne es ab, wo es Aktionismus produziert. (Mein Haus, mein Boot, mein Sonstwas.) Wirkung! Besitz! Action! Story! Bloß nicht Opfer ungenutzter Möglichkeiten sein. Man will ja Geschichte schreiben, besser einen Scheißhaufen hinterlassen als nichts.
5. Woher kommt das, dass ich mich bedingungslos mit meinem gelebten Leben identifizieren soll? Ich wittere Verantwortungs-Rhetorik. Hartz 4 – selber schuld ist nicht weit.
6. Ich fordere eine Image-Korrektur für die – um mal vom Konjunktiv loszukommen – unbeschrittenen oder unbeschreitbaren Traumpfade. Das Schlummernde. Hier wegzuhören oder abzuwinken folgt simpelster Verwertungslogik. Wer zu Hause von der Weltreise schwärmt, kriegt Häme gratis, der Reflex aber-wieso-tust-Du-es-nicht sitzt tief, der Sofa-Schwärmer sitzt da wie gescheitert = grauenhaft unsexy. Schmiede Dich, hör auf zu faseln. Entscheidend ist, was hinten rauskommt. Ach ja?

Liebe Daphne, sieh’s ein. Das Primat des Gelebten folgt einer patriarchalen Effizienz-Logik. Ich hänge am Tütü. Oder kurz: Ohne Möglichkeitssinn kann ich auch an politische Veränderungen nicht glauben. Geschweige denn mitwirken. Der Konjunktiv ist ein leiser Revoluzzer. (Und nicht der lahmarschige Cousin der Tatkraft.) So! Löschst Du eigentlich die Briefe? Vielleicht kann ich mich in ein paar Jahren mit diesen Zeilen gar nicht mehr identifizieren. Wenn ich erstmal einen Reiterhof leite und Steuersenkungen fordere. We’ll see. Im letzten Sommer sah ich im Prenzlauer Berg so ein Graffiti:

ponys-preview



Bildautor / Bildquelle: Finefin

Du siehst, ich bin hier, ich bleibe hier, ich warte auf die Ponys. Ich packe nicht, ich schwärme von einem Hollywood-Star und genieß es. Ich verrate nicht, wer es ist, er trägt Cowboystiefel. Und lächelt mir zu, weil er bei mir an der Wand hängt. Das ist ein Leben! – und Deins?
yours, e.

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