Dortmund, 20. April 2010
Liebe Edda,
ehrlich, ich freu mich, dass du noch da bist. Ich seh dich, wenn ich die Hände von den Augen nehme. Von oben betrachtet scheint mir, als bewegten wir uns in einem geschlossenen Raum, in dem uns eigene und fremde Bälle um die Ohren donnern. Während unsereins gegen die Wand schlägt und ausweichend auf der Stelle hüpft, formieren sich die Kugeln außerhalb des Terrariums. Und Aschenregen. Ich warte auf literarischen Output, 9 months later, in dem LOVE zwischen gestrandeten Urlaubern explodiert.
Als hätte ausgerechnet ich etwas gegen das Mögliche einzuwenden. Dass wir am Ende auf einer Linie liegen könnten, wage ich nicht zu behaupten, es gibt bessere Orte. Ich will spitzfindig sein, kleinkariert, Haare spalten: Die Wünsche, heißt es, seien immer größer als die Möglichkeiten. Die Möglichkeit bliebe Kategorie des Wirklichen und an ihm messbar. Das Mögliche als das bestenfalls Machbare ist mir zu wenig. Neudeutsch: Was nicht passt, wird passend gemacht. Dann, ja, wäre Nichtverwirklichung Versagen. Offensichtlich vermag ich’s nicht, verständlich zu machen, was mich an dem Begriff des ungelebten Lebens stört, und zwar so vehement, dass er sich festgehakt hat. Vielleicht ist er mir zu statisch. Ein Klumpen Leben, ein Teil ausgelebt, der andere nicht. So läuf das doch nicht. Das Schlummernde dagegen mag ich. Sehr (verbotenes Wort, sagt J.J.). Die Sehnsucht, Wünsche. Traum. Utopie. Alles, was das Vorstellbare übersteigt. Ist das jetzt schon Theologie? Und kann mir alle möglichen Arten von Leben vorstellen, meinetwegen auch gleichzeitig, wenn die anderen mitmachen und es sich finanzieren lässt. Bist du jetzt zufrieden? Einmal hörte ich eine Frau sagen: Gesagt, getan. Das war mir so entfernt, dass ich bewundernd zu ihr hinübersah.
Ich muss Nahrung besorgen, das enführt mich fürs erste in den SUPERmarkt. Bald mehr. Daphne
Daphne D. - 20. Apr, 12:40
Berlin, 16. April 2010
Daphne!
War in der Stadt unterwegs, überall Baustellen, überall stinkt’s, ist das Vulkanstaub? Riecht’s bei Dir auch nach Vulkan. Flugzeuge dürfen nicht fliegen, aber wir dürfen durch die Stadt, einfach so. Ich frage mich, ob uns „die Holzmedien“ verschweigen, wie gefährlich die Luft ist. Ich guck ja Filme und weiß. Zuallererst sagt ein Sicherheitsexperte: Wir wollen doch eine Panik vermeiden. Ich schließe die Fenster. Ich hab ja Internet. Und war auf der re:publica, rate wo, im Friedrichstadtpalast. Endlich mal im Revuetheater und statt nackter Beine behoste Blogger. Ganz großes Theater. Ein Amerikaner wettert: Die Deutschen fürchten um ihre Privatsphäre im Netz, dann gehen sie in die Gemischtsauna. Eine Feministin sagt, dass diese alte feministische Praxis der „Enttrivialisierung des Weiblichen“ (das ganze unsichtbare Zeug, das es nicht in die Geschichtsbücher schafft) ergänzt werden müsse um einen gleichzeitigen Prozess der „Trivialisierung des Männlichen“. Ach, Du kannst Computer? - Blöd nur, dass sich fast jede Feministin aufgefordert fühlt zu erklären, dass sie keine Männer hasst. Im Friedrichstadtpalast.
Ich hasse Männer auch nicht, aber J. ist gelöscht. Belehrende sms, wieso in meinem Leben alles falsch läuft. Haste Töne. Erzähl mir von Deinem Atem..
e.
edda b. - 16. Apr, 19:57
Berlin, 15. April 2010
liebe D.,
Deine Vorwürfe zielen ganz weit an mir vorbei. „Wo ist mehr drin?“ – das ist Deine Frage, Dein Aschenputtel-Bild, Dein Bilanz-Verdacht. Teil ich alles nicht.
1. Ich erzähl Dir von einer
Installation über den Konjunktiv und
beklage, dass die Ausstellung des nicht-Realisierten wie bebilderte Reue erscheint. Tütü – ich hätte Tänzerin werden können und wurde es nicht, es ist zum Seufzen. Das ist erstmal blöd.
2. Ist es nicht nur blöd. Autonomie ist nicht immer und überall. In der Frau mit dem Tütü-Traum steckt das Kriegskind, das nach der Volksschule die erstbeste Lehrstelle antreten muss. Zack Zack. Optativ trifft auf Gesellschaft. Wer will den Kummer zensieren?
3. Hatte ich nicht Recht. Im Nachhinein finde ich es nicht blöd, die ungelebten Sehnsüchte in Bilder und Geschichten zu verwandeln. Anders als Du rechne ich nicht gegen. (Das wäre ihr Preis gewesen.) Ich seh’s als Wundertüte, von mir aus als Addition. Das Ungelebte, ob aus Feigheit, Notwendigkeit, Dummheit, Entschiedenheit, das gehört dazu. Zu einer Person, dem ollen Puzzle.
4. „Männer kannst Du an ihren Handlungen erkennen“, welche unserer Omas oder Tanten hat das gesagt. Jaja, das Sichtbare. Nur was – zack, Pflöcke in den Boden rammen! – sichtbar ist, zählt und gilt? Ich glaube das nicht. Und lehne es ab, wo es Aktionismus produziert. (Mein Haus, mein Boot, mein Sonstwas.) Wirkung! Besitz! Action! Story! Bloß nicht Opfer ungenutzter Möglichkeiten sein. Man will ja Geschichte schreiben, besser einen Scheißhaufen hinterlassen als nichts.
5. Woher kommt das, dass ich mich bedingungslos mit meinem gelebten Leben identifizieren soll? Ich wittere Verantwortungs-Rhetorik. Hartz 4 – selber schuld ist nicht weit.
6. Ich fordere eine Image-Korrektur für die – um mal vom Konjunktiv loszukommen – unbeschrittenen oder unbeschreitbaren Traumpfade. Das Schlummernde. Hier wegzuhören oder abzuwinken folgt simpelster Verwertungslogik. Wer zu Hause von der Weltreise schwärmt, kriegt Häme gratis, der Reflex aber-wieso-tust-Du-es-nicht sitzt tief, der Sofa-Schwärmer sitzt da wie gescheitert = grauenhaft unsexy. Schmiede Dich, hör auf zu faseln. Entscheidend ist, was hinten rauskommt. Ach ja?
Liebe Daphne, sieh’s ein. Das Primat des Gelebten folgt einer patriarchalen Effizienz-Logik. Ich hänge am Tütü. Oder kurz: Ohne Möglichkeitssinn kann ich auch an politische Veränderungen nicht glauben. Geschweige denn mitwirken. Der Konjunktiv ist ein leiser Revoluzzer. (Und nicht der lahmarschige Cousin der Tatkraft.) So! Löschst Du eigentlich die Briefe? Vielleicht kann ich mich in ein paar Jahren mit diesen Zeilen gar nicht mehr identifizieren. Wenn ich erstmal einen Reiterhof leite und Steuersenkungen fordere. We’ll see. Im letzten Sommer sah ich im Prenzlauer Berg so ein Graffiti:
Bildautor / Bildquelle: Finefin
Du siehst, ich bin hier, ich bleibe hier, ich warte auf die Ponys. Ich packe nicht, ich schwärme von einem Hollywood-Star und genieß es. Ich verrate nicht, wer es ist, er trägt Cowboystiefel. Und lächelt mir zu, weil er bei mir an der Wand hängt. Das ist ein Leben! – und Deins?
yours, e.
edda b. - 15. Apr, 15:09
Dortmund 11. April 2010
Edda,
Klar kann ich das, Karten legen, Tische rücken, pendeln, usw., sah dich schon dem stolzen Jan das Mittagessen im Henkelmann zur Baustelle tragen, barfuß, mit wehendem Haar, Turbokinder am geblümten Kleidersaum. Alles glüht. No risk no fun. Aber doch nicht mit einem, der wenig Humor hat und bespaßt sein will. Die Ratgebertante mach ich dir nicht. Hinterher sagst du noch, ich hätte das Badewasser abgelassen. Egal, wie’s aussieht, und wenn du es mit dem Rücken zur Straße auf dem Sofa absitzt, ist es doch Leben und zwar gelebt. Pilutta, pilutta. Was du nur immer mit dem ungelebten Leben hast, geht mir nicht in den Kopf (aber raus auch nimmer). Kommt mir vor, als sprächst du von zwei Parallelen im Galopp auf Unendlich: Schaff’ ich’s von der einen auf die andere zu springen. Oder so: Am Ende beim Jüngsten Gerücht wird abgewogen. Hier der Sack mit dem gelebten, da der mit dem ungelebten Leben. Wo ist mehr drin. Pfui. Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen. Der Konjunktiv ist ein gutes Korrektiv. Er dient der Selbstbefragung. Mach ich, was ich will. Leben ist Leben. Am Ende geht das Licht aus. Kein Bild, kein Ton. Niemand kommt. Halte ich mich auf diese Weise selbst in Schach?
Für wen oder was schwärmst du. Als ich dich zuletzt sah, du mit Cowboystiefeln, ich mit zitternden Kirschenohrringen vom orientalischen Trödel, war’s... ich hab’s vergessen. Einmal sagte einer: Entweder Platon oder Heraklit. Eine andere: Entweder Schimanksi oder Robert Redford. Aber du, da du dich nicht verlieben zu wollen vorgibst und in Möglichkeiten badest, bist gewiss eine veritable Schwärmerin. Möglichst wenig Praxis. Was hast du eigentlich gegen das Kinderkriegen. Ist die beste bewusstseinserweiternde Droge, die ich mir vorstellen kann (kennen tu ich ja so gut wie keine).
Pathosgeste (war Titel einer hellsichtigen Installation, Documenta 87): Kam mir in den Sinn für deinen Anwurf, du weißt schon. Du als mein wandelnder Konjunktiv. Noch schlimmer ist die Phrase vom gelingenden Leben. Wohlstandsjargon. Ekelhaft. Darüber kann ich mich erhitzen, da rumort doch was, ab auf die Couch. Liebe. Edda. Bist du bei deiner Entscheidung geblieben oder packst du schon. Ich drück dich.
Daphné.
Daphne D. - 11. Apr, 00:27
Berlin, 7. April 2010
hey Daphne...
kannst Du Kaffeesatz oder Handlinien lesen. Was tun. Rettung setzt Verlorenheit voraus, schreibt einer in der Zeitung. Aber das postmoderne Pack kann das nicht verstehen, „cool, nicht festgelegt, gelassen und dezentriert“, da fehlt die Tiefe. – Meint der mich? – Das Böse, die Erlösung und die Zerstörungslust brauchen Tiefe Tiefe Tiefe. Jaja. Zu abgeklärt, um ein Dorf in Brand zu stecken. So so. Wohl eher ein ästhetisches Problem, nicht? Der Autor empfiehlt Kafka, Beckett, zur Tiefen-Impfung. Ich stecke lieber kein Dorf in Brand und weigere mich, literaturfähig zu sein. Oder nur für bestimmte Sorten Belletristik, die auf den richtungslosen Nie-Ankommern rumhackt. Wie das in Spanien wär, „paar Wochen“. Ich stell’s mir vor und nenn es Konjunktiv. Du sagst, es gibt kein ungelebtes Leben?, sorry, das steckt tief in mir drin. Ich bade in der Möglichkeit. Der Konjunktiv stattet meinen Realitätssinn aus. Was sollte ich in Spanien tun? Kochen, Sex, in Sonne baden, Sprache lernen. Die Spanier haben keinen Konjunktiv I im Programm. Hm. Ist das jetzt der erste Schritt zur lebenslangen Liebe oder der erste Schritt in die Lebensfalle: Er macht Geld, sie sich hübsch und die Kinder.
Muss Chu-Han mal sagen, dass ich gar keine Kinder will. Mal gucken. Vielleicht fällt dem dann ein, dass er seiner Cousine ausm Baskenland versprochen ist. Längst.
Ich glaube, ich will nicht. Tschann hat kaum Humor und kann nicht alleine sein. Sein Subjonctif heißt „take it or leave it, baby“, ich komme mir wie ein Test-Fall vor, springtse oder springtse nicht. Né. So verliebt bin ich nicht, das bloße Abenteuer wäre zweckdienlich. Danke fürs Zuhörn. Das mit der Pathosgeste musst Du mir erklären, wenn ich anfange rumzujammern, dass ich nicht aus dem Vollen schöpfe. Ich – werde –nicht – jammern. Und wollte mich sowieso nicht verlieben. In Hu-Hann, seinen Absichten oder hemdsärmeligen Wünschen hab ich mich offenbar getäuscht, so viel zu meinem Möglichkeitssinn. Alles ein Mist. Ich verlange den Optativ.
olé, edda.
edda b. - 7. Apr, 17:03
Berlin, 7. April 2010
DAPHNE... uaaahhh! Dschann ruft an, muss für ein halbes Jahr in sein Kaff an der spanischen Küste, Geld verdienen, fragt, ob ich mitkomm, „paar Wochen.“ Was soll das denn. Ich könnte.
Ich weiß nicht,
ist das nicht kitschig,
später mehr, e.
edda b. - 7. Apr, 17:01
Berlin, 7. April 2010
hallo Daphne
Wille zur Macht, Esoterik, Pathos.. icke? Ich versteh nichts. Oder Dich nicht. Kerne entblättern, Zwiebeln häuten? Ich koche nicht.
Umsatzsteuervoranmeldung, bin spät dran, keine Zeit, sorry, zu viel Praxis hier.
Juan hasst es, wenn ich ihn Hans nenne. Hanns. Chans. Muss so sein, Juan schmeichelt ihm zu sehr. Hm. Hast Du etwa recht. Und Leute runterkochen („auch Du bist nur ne Larve, die sich zwangsläufig entfaltet hat, baby“) ist mein Hobby. Kann ich nicht glauben. Chans beschäftigt mich (als feste Freie), ich bin es so gewohnt. Muss ihm erklären, dass Chans ein Kompliment ist, hey, Du bist mehr als ein altmodischer Schwerenöter, die Rolle ist viel zu eng für Dich, Du bist faul, wenn Du Dich darin sonnst. Werde nat. nix erklären, sondern die Steuer machen und Chuanns Kündigung erwarten wg. unzulänglicher Bestätigung.
Im tv sagt einer: Ob Bushido- oder Bruckner-Fan, das ist doch einerlei, wir wollen doch das Gleiche, nämlich Pathos, dass sich uns die Nackenhaare kräuseln. Echt? Ich nich. Gänsehaut per Knopfdruck, on/off, leise/laut. Danke, nein. Bis später, e.
edda b. - 7. Apr, 16:39
Dortmund, 5. April 2010
Edda,
Etwas ist nicht wirklich, also ist es vielleicht wahr. Es gibt kein ungelebtes Leben. Pathosgeste. Brauchte lange, deine Worte zu sortieren, die mich mit Anlauf umgerannt haben. Hast du einen Entwurf gemacht, glaubst du an einen Kern, den zu entblättern eine Aufgabe ist. Wille zur Macht. Soviel Esoterik hätte ich dir nicht zugetraut. Vorsicht, vermintes Gelände. Der Vorgarten vielleicht auch. Vom ungelebten Leben ist der Schritt kurz zum Unwert. Machen Sie das Beste aus Ihrem Typ. Leben bewegt sich zwischen Ereignis und Setzung. Natürlich ist die Setzung angreifbar, Wünsche wie Möglichkeiten sind veränderlich. Hier postuliere ICH: Schwebendes Verfahren. Vom Konjunktiv halte ich wenig. Tendiere zum französischen Subjonctif. Grammatik des Wollens, Wünschens, Denkens, Empfindens, Meinens, Urteilens. Ich sehe eine Aufforderung zur Präzision darin.
Balanciere immer an der Peripherie. Schon seit Schulzeiten, anders als Tanja, schräg vorbei an der Mitte. Eingeborene Randständigkeit, eine Position des Beobachtens. Reise dieser Tage am östlichen Rand der Region, Oskar auf dem Arm. Noch kann ich ihn tragen, noch vertraut er meinen Wünschen. Immense Performance, Rieseninstallation zu Kunst und Alltag. Ich lade dich ein, hier kannst du Bilder schütteln wie Schneekugeln. Klingelst an einer von 60 Türen, drumherum spitzgiebeliges Häuschen im Industriegebiet, eine Frau lässt dich freundlich ein, im Zimmer rechterhand liegt ein Mann im Pflegebett, wer weiß, was von dir er wahrnimmt, linkerhand ein Wohnzimmer, Lampe, Stühle, Tisch, am Ende des Flurs verlässt du das Haus, überquerst einen Hof, betrittst einen Wintergarten aus Stein mit Frühlingsblick auf Teich und Beete, der Boden ist kahlgefegt, der Blick sucht das draußen angekündigte Werk, es befindet sich in den Steckdosen, technische Hinterlassenschaften eines multinationalen Musikfestes aus Anderland, erfährst du, figurativ anmutende Skulpturen aus Steckverbindungen, Schaltern, Notlichten unterschiedlicher Herkünfte, die zart leuchten, also funktionieren. Alles zusammen ergibt das Bild. Die Frau, der Mann, das Bett, der Gang, der Boden, die Kunst aus Ereignis und Setzung. Du fährst weiter, die anderen bleiben.
Ich gelobe: Ich will dich von nun an in deinem berliner Angestelltenstatus ernst nehmen. Vielleicht ist mir deine Haltung weniger fremd als ich mir zugestehe. Von Herzen yours, unbeirrt.
Daphne
Daphne D. - 5. Apr, 12:27
Berlin, 27. März 2010
tja, d.
Was hast Du bloß gegen Wackelbilder. Unschärfe-Relationen sind das a und o, so. Ein Bild, das Du nicht festhalten kannst. Das ist doch gut, das ist doch wahr, pure Physik. Vielleicht, als wir uns zuletzt sahen, mochte ich Dein Beben, Du bist überhaupt nicht gebannt.
Daphne, Dein letzter Brief war Dreck. Du gehst, sorry, darüber hinweg. Hältst Du mich für eine Großstadtmieze. U20, für immer, irgendwie. Ich will es gar nicht wissen. Das interessiert mich nicht. Ich suche keine Etiketten. Von Touristen, die im Schnellverfahren ihre Eindrücke bündeln und in Worte verpackt mit nach Hause nehmen, hab ich genug. Von Dir fordere ich ein schwebendes Verfahren. Und rückhaltloses Interesse, wenn ich aus Berlin erzähle, ja, die Stadt beschäftigt mich (wie eine Angestellte). Ich halte Dich nicht für eine Kleinstadtmatrone.
Ich finde Dich komisch. Ich hab nie begriffen, wie Du in einem Haus mit Vorgarten landen konntest, wenn eine sich weigert, Platz zu nehmen, dann Du, dachte ich. Das Bild, das ich von Dir habe, passt gar nicht in das Bild, das ich mir von Dir mache. Ätsch.
Heute spazierte ich durch eine Installation über den Konjunktiv, (natürlich) in Mitte. Vielleicht bin ich Dein Konjunktiv. Verkörperung von etwas Unausgelebtem + das muss disney sein, sonst wäre es schade, hättest Du’s nicht selbst gelebt. Auch in diesem Fall müssten wir die Korrespondenz sofort beenden. Ein Tütü hängt mitten im Raum, über einem tv mit Ballett. Der Text im Bilderrahmen erzählt von dem Mädchen, das mit 3 Jahren vor sich hintanzte und dem Talent bescheinigt wurde, die Mutter war arm. Trotzdem tanzte die Frau, später in Amerika. Jetzt ist sie älter, züchtet in ihrem Garten Gemüse und denkt gern an ihre Zeit als 2. Solo-Ballerina zurück. Etwas ist nicht wahr = Konjunktiv. Lauter solche Geschichten, in Mitte, der Konjunktiv ist der unerfüllte Wunsch, das Unerlebte, reiner Rückblick, Reue. Ich komme mir plötzlich sehr jung vor (was ich nicht bin), weil mir der Konjunktiv der Gegenwart (Traum) und der Zukunft fehlt (Utopie). Weil es interaktiv ist, schreiben Besucher an die Wand. Einer schreibt, in der japanischen Sprache gibt es gar keinen Konjunktiv. Ich will auch was schreiben, einen Spruch, den ich von M. kenne,
hätte hätte herrentoilette, aber da steht schon:
hätte hätte macht ins bette. Das ist viel besser.
Wie viele Geschichten stecken in einem drin, das Gelebte ist ja nur der Teil, auf den wir festgenagelt werden. Die Installation macht die unsichtbaren Geschichten sichtbar, einer wollte Pilot werden. Da flimmert der Anfang einer Landebahn im Raum.
Daphne, wenn Du mich noch einmal festnagelst, sehen wir uns auf dem nächsten Familientreffen wieder und geben uns förmlich die Hand. Ich überlege, wieso ich Dir schreibe. Und wenn ich es wüsste, schriebe ich Dir vermutlich nicht. Ich bin nicht besonders planvoll, das wäre instrumentell. We’ll see, für heute: edda.
ps. König Drosselbart musste ich googlen, ich hab sehr gelacht.
ER: Fürchte dich nicht, dir zuliebe habe ich mich so verstellt. Das alles ist geschehen, um deinen stolzen Sinn zu beugen und dich für deinen Hochmut zu strafen, womit du mich verspottet hast.
Sie entschuldigt sich und die beiden heiraten.
Her mit den Bestrafungen. Ich will auch einen kostümierten Richter, der meinen Charakter dort verbrennt, wo er nicht gesellschaftsfähig ist. Diese großstädtische Toleranz puffert ja alles ab. – Nein, wie schrecklich, Enid Blyton wird neu übersetzt, um das Mädchen-Jungs-Schema aufzuweichen. Die Märchen aber bleiben, ist ja Hochkultur, Erbe, Tradition. – Was tun?
edda b. - 27. Mär, 23:22
Dortmund, 26. März 2010
Edda!
Sorry. Deine Mail klang müde. Ich kroch unter den Schreibtisch, um den Rückschlag zu überleben. Duck and cover. Hältst du mich für eine Kleinstadtmatrone. Micky und Minni sind kaum mehr als Namen für mich. Comics galten als unfein. Mir hatten sie zu wenig Text, sonst hätte ich mich aufgelehnt. Als Kind habe ich freiwillig Einkaufszettel geschrieben, weil es mir so schön vorkam: aus Strichen, Bögen. Schleifen Worte auf Papier, die für andere lesbar waren. Die Prinzessin auf der Erbse verteidigte ich gegen den abschätzigen Ton der Vorleserinnen. Man hielt sie für bescheuert, dekadent, zimperlich. König Drosselbart war mein Feind. Für Oskar bin ich zu alt mit diesen Wackelbildern, von denen ich hoffte, sie hätten keine Gültigkeit mehr. Was sagst du.
Über- und unterlegen. Das überlassen wir den Barbies. Ich erinnere mich, einen ähnlichen Satz von dir gehört zu haben. Vielleicht als wir uns zuletzt sahen?
Von Herzen
Daphne.

Daphne D. - 26. Mär, 09:36